Werkstattpalast 2022
Stadtleben // Artikel vom 18.08.2022
Erstmals öffnet sich der Karlsruher Rheinhafen außer dem hauseigenen „Hafen-Kultur-Fest“ und dem „Nordbecken-Festival“ der Kultur.
Bislang blieben alle kulturellen Aktivitäten dort strikt temporärer Natur, wie z.B. die Halle 14. Wie lassen sich Strukturen aufweichen und verändern? Das Kunst- und Wissenschaftsfestival „Werkstattpalast“ lädt für zehn Wochen dazu ein, über Strukturen und Strukturwandel nachzudenken – und das in einem bewusst breiten Sinne, wie Norina Quinte, die das Festival konzipiert hat, im untenstehenden INKA-Interview mit Friedemann Dupelius erklärt.
Eine „fliegende Architektur“ in Form eines Baugerüstpalasts wird temporär zum Teil des Rheinhafens. Das ansonsten im Stadtraum eher verborgene Areal wird somit zur Projektionsfläche für städtische und gesellschaftliche Zukunftsvisionen – und zum Spielort für Kunst, Musik, Dialoge, Workshops und Zusammenkünfte an der Bar. Hinter dem Projekt stehen die Kunstplattform Ato und der KIT Innovation Hub.
Auf das offizielle Opening (Sa, 13.8., ab 17 Uhr) folgt ein Wochenende zum Thema „Spiel oder Regeln“, mit Vorträgen von Andreas Beck (KIT) und Judith Milz (Do, 18.8.), einem Konzert von Yaneq (Fr, 19.8.), dem Talk „Wozu die Kunst?“ und einem Streitgespräch zu Visionen und Regeln (Sa, 20.8.) sowie einer Videoperformance von Kilian Kretschmer (So, 21.8.). „Nano oder Makro“ ist die Leitfrage ab Do, 25.8.: Jaro Eiermann spricht über das Potenzial der Karlsruher Nord-Süd-Achse zwischen Schlossplatz und Hbf. Ancient Buttons und Carol Moss performen am Fr, 26.8., gefolgt von SK Libras DJ-Set. Mehr Diskurs folgt am Sa, 27.8. mit Vorträgen von stadtentwicklerischen Initiativen aus u.a. Darmstadt und Stuttgart und am So, 28.8. lädt der KIT Innovation Hub zu einem Workshop.
Mit „(Un)abhängigkeiten“ geht es in den September. Das MKDIR Collective gibt Einblicke in ethische und soziale Implikationen der „Digitalen Dreifaltigkeit – Daten, Hardware, Software“ und Cite-Online zeigt einen Film über algorithmenbasierte Kameraüberwachung von öffentlichen Räumen (Do, 1.9.). Der Performance von Gin Bahc folgt DJ-Musik mit Lichtkonzept von Nachtgestalten (Fr, 2.9.). Der Sa, 3.9. bietet Gelegenheit zu einer Führung durch die „Werkstattpalast“-Ausstellung und am So, 4.9. gibt es Workshops von MKDIR und Strwüü (HfG Open Resource Center).
Die Wochenenden zu den Themen „Takt oder taktlos“ (8.-11.9.), „Form oder Norm“ (15.-18.9.), „Hafen gestalten“ (22.-25.9.) und „Wie fair teilen“ (29.9.-2.10.) bieten u.a. Workshops über Improvisation und Struktur mit Saxofonist Peter Lehel (So, 11.9.) und mit den Urbanen Gärten Karlsruhe (So, 18.9.), KünstlerInnenvorträge von Christian Schnurer (Sa, 17.9.) und Nati Krawtz (Do, 22.9.), ein Dialogfomat über Gestaltungsmöglichkeiten im Rheinhafen, einen „Tag des offenen Bootes“ bei der Hafenpolizei (So, 25.9.) und eine Performance von Heidi Herzig und Ben Öztat (Fr, 30.9.). -fd
INKA: Wie kamen der Innovation Hub des KIT und Ato zusammen?
Norina Quinte: Ato steht für die Veränderung der Strukturen innerhalb der Kunstwelt und möchte ein System schaffen, das auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene fair funktioniert. Der KIT Innovation Hub setzt sich für nachhaltige Infrastruktur ein und arbeitet in diesem Feld an struktureller Veränderung. Ein gemeinsamer Nenner ist, dass wir Infrastruktur nicht nur als baulich gegebene Substanz verstehen, sondern als gesellschaftliches Konstrukt. Dass sich „etwas ändert“ und auch verändern sollte, liegt auf der Hand – aber in welche Richtungen wollen wir uns als Gesellschaft bewegen? Insbesondere nach zwei Jahren Pandemie merken wir, dass sich der Austausch zwischen den Disziplinen und eher verringert hat, statt intensiviert zu werden. Der Begriff „Struktur“ ist in aller Munde und doch weiß eigentlich niemand, was er für das Gegenüber bedeutet. Während er für die einen eine molekulare oder physikalische Beschreibung darstellt, denken andere an städtebauliche oder ästhetische Strukturen, Macht- oder Wirtschaftsstrukturen. Für wiederum andere liegt die Struktur im Chaos usw. Der Ansatz von „Werkstattpalast“ ist daher, fachübergreifend zusammenzukommen und sich gegenseitig zuzuhören – durch Vorträge, Dialoge, Workshops, Musik und Gastronomie.
INKA: Welche Begriffe von Struktur bringt ihr zum Festival mit?
Quinte: Alle eingeladenen AkteurInnen bestimmen das Programm und somit auch die Vielfalt der Struktur-Begrifflichkeit. So werden künstlerisch z.B. ästhetische Strukturen, Konsumstrukturen, digitale Strukturen, sprachliche Strukturen oder Geschlechterstrukturen thematisiert. In Vorträgen befassen sich Wissenschaftler mit Kreislaufwirtschaft, dem Bau von Infrastruktur, der Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst, der Bespielung von urbanem Raum, nachhaltigen Werkstoffen oder verfolgen ganz andere Ansätze, wie z.B. das Sprechen über unsere „Trauerstruktur“.
INKA: Welche Idee von Struktur verkörpert der Gerüstbau am Rheinhafen?
Quinte: Die „fliegende Architektur“ ist unser Rahmen: eine physische und inhaltliche Baustelle, die wir in einen recht unbelebten Stadtraum setzen. Karlsruhe hat einen Hafen, allerdings ist dieser nur bedingt für die Stadtgesellschaft geöffnet. Die ephemere Gerüst-Struktur zeigt auf, „was sein könnte“, hat etwas Spielerisches, Unperfektes, Offenes und Wiederverwendbares. Das Gerüst hat noch keine Vorgeschichte, es wird erst mit Inhalten gefüllt. Es verändert die Infrastruktur des Hafens und öffnet einen neuen Handlungsspielraum.
INKA: In welchen Formen findet der Dialog zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft beim Werkstattpalast statt?
Quinte: Es geht nicht darum, dass sich „alle“ an einem Produkt abarbeiten, sondern dass eigene Standpunkte und Themen auf den Tisch gelegt werden. Das Programm hat eine feste Struktur, die den Einstieg in die Thematik und ein fachübergreifendes Nachdenken ermöglicht. So finden donnerstags Vorträge über einzelne Forschungsansätze statt, am Freitag bestimmt die „Freitat“ das Geschehen durch Performance oder Konzerte. Samstags gibt es Dialogfenster zu gemeinsam definierten Themen. Sonntags veranstalten wir kostenlose Workshops, die eine einfache Teilnahme am Diskurs fördern. Gemeinsam mit dem Biodesignlab der HfG, der Ato-Künstlerin Verena Schmidt, dem KIT Innovation Hub und dem Produktdesigner Jannik Lang haben wir eine 20 Meter lange Material- und Objekte-Bibliothek entwickelt, die dazu einlädt, sich mit der Schnittstelle von Wissenschaft, Bauwelt und Kunst auseinanderzusetzen.
INKA: Welche Rolle spielt der Rheinhafen aus eurer Sicht für die Stadtstruktur?
Quinte: Eine große. Durch die Arbeit im Hafen haben wir viel über das Gebiet gelernt. Für die Stadtstruktur von Karlsruhe ist der Hafen insbesondere als Industriestandort von Bedeutung. Es sind unfassbar viele Güter, Werk- und Rohstoffe in Produktion oder im Umlauf. Dies werden wir in der Ausstellung wie auch in der Szenografie veranschaulichen.
INKA: Wie könnte man den Hafen besser nutzen – ohne, wie in so vielen anderen Städten üblich, teure Neubauten und Eigentumswohnungen draufzusetzen?
Quinte: Teure Neubauten wären keine Lösung und zudem problematisch für anliegende Unternehmen, wenn sie ihre Arbeitszeit auf einmal an Wohnrecht anpassen müssten. Natürlich sehe ich aber eine große Chance darin, dass wir mit dem Rheinhafen Karlsruhe zusammenarbeiten und gemeinsam ausprobieren dürfen, wie sich das mit der Kunst, Kultur und Wissenschaft im Industriegebiet verhält. Ein Blick nach z.B. Mannheim zeigt, dass sich Kunst und Industrie nicht zwingend im Wege stehen. Beide wollen 24/7 arbeiten dürfen und laut sein. Die einen mit Maschinen, die anderen z.B. mit Musik… „Besser nutzen“ kann ich also nicht beurteilen, aber etwas diverser nutzen – das wäre natürlich toll!
INKA: Liegt in der Vereinigung von Kultur und Wissenschaft (und Industrie?) der Schlüssel zu einer für möglichst viele Menschen positiven Stadtentwicklung?
Quinte: Ich denke ja. Wenn die sogenannte Vereinigung auf Augenhöhe geschieht und sich niemand als DienstleisterIn fühlt, ist es das Beste, was uns passieren kann. Wenn Kunst von Beginn an in die Gestaltungsprozesse von Stadt und Raum einbezogen werden könnte, würde das auch die Nutzungsqualität verändern. Ebenfalls könnte die Wissenschaft – und ja, sogar die Industrie – davon profitieren, wenn kritische Fragen aus der Kunst einen Raum in Instituten oder Unternehmen erhielten. Stadtentwicklung auf dem Reißbrett ist keine Lösung, sie führt nicht zu prozesshaftem Planen oder diverser Entwicklung. Aber das wird auch gerade vielen Kommunen und Städten zunehmend bewusst.
INKA: Statt jeder Bereich für sich, sollte man sich also gemeinsam für mehr (Kultur-)Förderung einsetzen?
Quinte: Wir benötigen einen „Werkstattpalast“. Viele davon. Wir müssen dauerhafte Flächen entwickeln, auf denen sich verschiedene Fachbereiche begegnen können, ohne, dass jemand die einladende Geste aussprechen muss. Ein Blick auf unsere Finanzierungsstruktur „Werkstattpalast“, die auch ausgestellt und offengelegt wird, zeigt deutlich, dass diese Bereiche finanziell unterversorgt sind. Die meisten Gelder kommen von Unternehmen und Privatpersonen. Staatliche Subventionierung sollte nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Wissenschaft, wesentlich umfangreicher sein. Bis dato dachte ich immer, es geht insbesondere der Kunst so. Der Einblick in die Welt der Wissenschaft zeigt allerdings deutlich: Wir sitzen alle im selben Boot.
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