Wohnraumkrise & Müllchaos

Stadtleben // Artikel vom 01.07.2024

Ehemaliger Exerzierplatz (Foto: Florian Kaufmann)

Die jüngsten Kommunalwahlen haben die Mehrheitsverhältnisse in Karlsruhe kaum verändert.

Die Grünen bleiben trotz des Verlustes von drei Sitzen weiter die größte Fraktion im Gemeinderat. Die größte Überraschung war der Einzug von Volt in Fraktionsstärke. Die proeuropäische Partei will sich auch vor Ort für Nachhaltigkeit, Digitalisierung und soziale Gleichberechtigung einsetzen. Jede zehnte Stimme in der Stadt ging an die rechtsextreme AfD, die künftig fünf Stadträte stellt. Die Kommunalwahl scheint nicht nur im Windschatten der zeitgleich stattfindenden Europawahl stark von der Bundespolitik geprägt. Den Karlsruher Grünen und Linken gelang es aber, auf kommunaler Ebene ein besseres Ergebnis als bei der Europawahl im Stadtgebiet zu erzielen.

Noch in alter Besetzung entschied der Gemeinderat im Juni, erstmals stadteigene Flächen an Baugruppen zu vergeben, die durch gemeinwohlorientiertes Bauen langfristig bezahlbare Mieten sichern sollen. In anderen Großstädten sind solche Konzeptvergaben längst geübte Praxis. Für das Experimentierfeld auf dem einstigen C-Areal in der Nordstadt haben sich mit Gewoka, Soleika, Okapi und Vielfalt Nord gleich vier Baugruppen beworben. Auf über 20.000 Quadratmetern wollen sie eigenständig und ohne Profitinteressen Wohnraum schaffen. Das ist dringend notwendig: Denn im Stadtplanungs- und Bauordnungsamt wurde augenscheinlich das Ziel von über 10.000 neuen Wohnungen bis 2035 schon aufgegeben. In der Bevölkerungsprognose nehmen sich die Ämter jetzt plötzlich mehr Zeit, um neuen Wohnraum zu schaffen. Erst bis 2040 sollen die dringend notwendigen 10.500 Wohnungen entstehen; etwa 23.600 Menschen darin Platz finden – dabei soll die Stadt bis 2040 nach der Bevölkerungsprognose um 40.000 Menschen bzw. um 13 Prozent wachsen.

Das Amt für Stadtentwicklung rechnet vor allem mit einem großen Zuzug junger Menschen zwischen 16 und 26 Jahren, die in der Folge auch zu einem Anstieg der Kinder in der Stadt führen soll. Doch ob die besonders in der Nordstadt und in Neureut geplanten Neubauten tatsächlich rechtzeitig genutzt werden können, lässt sich nicht sicher vorhersagen, so die Stadtverwaltung. Die Entstehung von Wohnraum sei „vom Handeln vieler unterschiedlicher Akteure“ und daher „insbesondere im Hinblick auf die zeitlichen Komponenten“ von Unsicherheiten geprägt. Eine der größten Risiken besteht dabei wohl auch auf dem C-Areal in der Nordstadt: Seit Monaten steht die Baustelle der Gröner Group still. Nachdem das Berliner Finanzamt einen Insolvenzantrag gegen eine Tochterfirma anstrengte, wachsen in der Branche die Zweifel, ob der Immobilienkonzern seine Wohnungsbauprojekte tatsächlich noch realisieren kann.

Seit Monaten für Verdruss sorgt auch die Karlsruher Wertstofftonne: Als Anfang des Jahres ein neuer Anbieter die Leerung übernahm, klagte fast jeder fünfte Haushalt über nicht geleerte Tonnen und überquellenden Müll. Der Betreiber berief sich auf die geschlossene Vereinbarung und die städtische Satzung zur Abfallentsorgung, nach der sie nur Mülltonnen im Abstand von bis zu 15 Meter und ohne Treppenstufen abzuholen habe. Im April entschied der Gemeinderat etwa eine Mio. Euro mehr aufzuwenden, um auch die bis zu 27 Meter und mit einer Treppenstufe entfernten Mülltonnen vom Anbieter abholen zu lassen. Für etwa 6.000 Gebäude in der Stadt ist auch dies nicht ausreichend. Trotzdem werden für diese Gebäude die vollen Gebühren für den „Vollservice“ fällig, ärgert sich die Fraktion Freie Wähler/Für Karlsruhe und fordert eine „Aufarbeitung des Wertstofftonnen-Desasters“.

Es werde an einer „möglichst gebührengerechten Ausgestaltung des Vollservice für alle Abfallfraktionen“ gearbeitet, antwortet das Dezernat von Bürgermeisterin Bettina Lisbach (Grüne) in einer Stellungnahme. Die „Vielzahl an auftretenden Problemen“ und das „Ausmaß der nicht erfolgten Leerungen“ sei „nicht absehbar“ gewesen, bleibt die Stadtverwaltung ihrer Verteidigungslinie treu und lobt sich selbst für ihre ausführliche Kommunikation in der Sache. Dies dürfte auch andere Fraktionen und Medien wundern, die sich zuletzt über die zurückhaltende Informationspolitik der Stadt beschwert haben. -fk

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