Zwischenruf in der Corona-Krise II

Stadtleben // Artikel vom 31.12.2020

Corona läuft und läuft.

Vom Gemeinderat hört man dazu wenig bis gar nichts. Der neu gewählte OB in Glücksstimmung, da er für die nächsten acht Jahre weiterwursteln darf. Glühweinstände und ein paar Weihnachtsbuden werden genehmigt. Warum wurde das erlaubt? Jeder ahnte doch, was da kommen würde. Lange Schlangen wie am Friedrichsplatz, kein Abstand und auch wegen des Trinkens keine Masken, wenn kleine Gruppen zusammenstanden. Dabei könnte ich, wenn ich über den Friedrichsplatz gegen 18 Uhr gehe, jetzt auch schon zwei Nachrufe schreiben: für Läden und Einkaufszentren.

Eine Kolumne von Harry Block

Für etliche tradierte wirksame Warenwelten ist dieses Jahr so oder so womöglich das letzte Weihnachten. Die Geschenke des Abgrundjahres 2020 stammen aus den virensicheren Versandlagern von Amazon und Kollegen. 25 Zentren allein im Landkreis Karlsruhe, die sich breiig und weit sichtbar in die Landschaft ergießen. Dafür mit Autobahnanschluss. Das Städtische Klinikum – und nicht nur dieses – und vor allem das Pflegepersonal gingen schon vor Corona durch Kürzungen beim Pflegepersonal auf dem Zahnfleisch. Jetzt sind sie zum Teil bereits überfordert. Schnelltest zumindest für alle Risikogruppen: Fehlanzeige.

Die Folgen von Covid-19 schärfen auch in unserer Stadt wie unter einem Brennglas den Blick auf bestehende gesellschaftliche Missstände. Da gibt es die hochgradig unterschiedlichen individuellen Ressourcen an Geld und Wohnraum, um mit der Krise klarzukommen. Jetzt rächt sich die mangelnde vor allem auch finanzielle Wertschätzung für die Berufe, auf die es in der Pandemie ankommt, auch das in Karlsruhe knapp gehaltene oder bereits totgesparte und privatisierte Gesundheitssystem. Und wieder die ultimative Lobhudelei zum Jahreswechsel aus Berlin. Allerdings schleicht sich bei dem Lob für die Helfer wieder ein fader Beigeschmack ein. Es liegt daran, dass man derzeit nicht nur eine zweite Infektionswelle, sondern auch eine zweite Welle der Lobpreisungen erleben kann.

Bekommen haben viele nichts, insbesondere jene, die nun wieder in Krankenhäusern und Pflegeheimen wesentlich mehr als nur Dienst am Nächsten leisten. Für sie hat sich die Welt trotz aller Dankbarkeit kaum geändert. Die zugesagten Bonuszahlungen an die Beschäftigten im Gesundheitswesen in den Krankenhäusern bekommen 70 Prozent nicht, weil ihre Kliniken die für den Bonus notwendigen zu behandelten Corona-Fälle vor allem wegen der langen Dauer der Behandlung bis Ende Mai nicht erreichten.

Da ist das Thema Klimaschutz tatsächlich fast schon nebensächlich geworden. Nur wenn die Menschen verstehen, dass eine große Gefahr auf sie zukommt, sind sie zu tiefgreifenden Verhaltensänderungen bereit. Die Coronakrise zeigt es gerade. Auch Klimaschutz braucht Alarmsignale – keine Beruhigungspillen. Eine dieser Pillen ist ein aktueller Antrag der Gemeinderatsfraktion der Grünen: Sie fordert, Klimaschutz zum zentralen Element der neuen Strategie der Wirtschaftsförderung zu machen. Nett, nur das was passiert im Gemeinderat ist eine Zustimmung im Haushalt 2021 (28 mal Ja, auch mit den Stimmen der Grünen). Die angesetzten 40 Millionen für das Klima werden auf 17,3 Millionen Euro im Jahr 2021 reduziert. Das passt zu dem landesweiten grün-schwarzen jämmerlichen Klimakonzept. Es sieht eine Reduktion von 1,5 Prozent der CO2-Emissionen vor. Für die Einhaltung der Pariser Vorgaben wären aber mindestens sechs Prozent für Ba-Wü notwendig. Dass AfD-Gemeinderat Schmid das Hohelied der Hochrisikotechnologie Atomkraft als Beschäftigter im stillgelegten Atomkraftwerk Philippsburg singt, ist nachvollziehbar. Die Reduzierung in Sachen Klima nicht.

Aber schlimmer geht immer. Der wiedergewählte OB hält am Regionalflughafen Söllingen fest, weil er die Wasserstofftechnologie für Flugzeuge damit fördern will, so in einer Veranstaltung der Grünen zur OB-Kandidatur. Mit jeder Wasser-/Stromrechnung zahlen wir BürgerInnen für den Betrieb dieses defizitären Flughafens. Von der EU-Kommission hat sich der Bundesverkehrsminister im August coronabedingte Unterstützung in Höhe von 1,36 Milliarden Euro genehmigen lassen. Bei einem Luftverkehrsgipfel Ende November war von weiteren „Entlastungen“ in Höhe von einer Milliarde Euro die Rede. Diese Dauersubventionierung ist ökonomisch und klimapolitisch unverantwortlich. Nur durch Steuergeld werden Billigflüge, etwa von Söllingen nach Berlin aktuell für 53 Euro, möglich. Der Staat sorgt damit selbst dafür, dass sein eigenes klimafreundliches Unternehmen Bahn kaum konkurrenzfähig ist (Karlsruhe – Berlin mit der DB: Normalpreis am 20.12. von 148,49 Euro).

Und nun kommt noch die E-Mobilitätsinitiative für Daimler & Co. Früher floss noch Benzin im Blut der Stadtverwaltung, heute fließt durch ihre Adern auch noch Strom. 60 Stellen hat das Land Ba-Wü für die Förderung derselben eingesetzt. Karlsruhe stehen drei Stellen zu. Sie hat aber nur eine bekommen (je zur Hälfte an die Karlsruher Energie- und Klimaschutzagentur KEK und das Umweltamt), weil die Stadt vermutlich die Antragsstellung verpennt hat. Ein echtes Mobilitätskonzept, das alle Verkehrsteilnehmerinnen im Blick hat, ist dabei weder im Land noch in der Stadt erkennbar. Bürgerenergiegesellschaften wie in Stuttgart, die durch die dortigen Stadtwerke gefördert werden, gibt es in Karlsruhe nicht.

Dazu passt die verheerende Bilanz der in Karlsruhe installierten Photovoltaikanlagen: Karlsruhe hat Stand Juli 2020 im Bestand 126 Watt Peak (WP-Einheit für Solarenergie) pro Einwohner. Mannheim 150 WP, Freiburg 176 WP und Ulm als Spitzenreiter 354 WP. Beim Zubau sieht es auch nicht rosig aus. Für Karlsruhe sind geplant 3,2 WP pro Einwohner, in Ulm 12,8 WP. Da werden Fridays For Future noch viele Demonstrationen machen müssen, damit sich bei den nächsten Wahlen in Karlsruhe wirklich etwas ändert. Es gibt derzeit keine stabile, sozial-ökologische, nachhaltige Mehrheit im Karlsruher Gemeinderat (30,1 % grün, CDU 18,7 %, SPD 14,3 %, Linke 7,0 %, AfD 7,1 %, KAL und Die Partei 9,6%).

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