Lyrikwettbewerb „100 Jahre Paul Celan“
Bildung & Wissen // Artikel vom 23.11.2020
„Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte. Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht. (…) Gedichte, das sind auch Geschenke – Geschenke an die Aufmerksamen. Schicksal mitführende Geschenke. (...) Wir leben unter finsteren Himmeln, und – es gibt wenig Menschen. Darum gibt es wohl auch so wenig Gedichte.“
Dieses Zitat aus der Korrespondenz von Paul Celan nahmen die VeranstalterInnen des Lyrikwettbewerbs „100 Jahre Paul Celan“ im Jubiläumsjahr des Dichters zum Anlass, sich auf die Suche nach den wahren Gedichten zum weitreichenden Themenkomplex „Emigration – Vertreibung – Flucht“ zu begeben und eine Ausschreibung zu lancieren, die zur Folge hatte, dass zahlreiche, sehr inspirierte und vielfältig wortgewaltige Beiträge eingereicht wurden. Der Planung nach sollten die acht ausgewählten Finalisten am 22.11. innerhalb einer Gedenkveranstaltung mit Musikdarbietungen und Performances im Club Topsy Turvy, der von Karlsruher Künstlern in den späten 60er Jahren gestaltet wurde, aus ihren eingereichten Beiträgen in zwei Wettbewerbsrunden lesen und die drei Sieger, die wie in den antiken Lyrikwettbewerben zur Zeit von Sappho und Alkaios vom Publikum gekürt werden sollten, Buch- und Geldpreise erhalten.
Aus gutem Grund und aktuellem Anlass wurde die Veranstaltung und deren Liveübertragung im Netz aufs Frühjahr 2021 verschoben. Bis zu dem großen Tag, dem wir feierlich an der Veranstaltung feilend entgegensehen, stellen wir in einem Onlinespecial ab dem 23.11.2020 – Paul Celans Geburtstag – und im INKA Stadtmagazin im Februar die acht FinalistInnen mit einer Auswahl aus ihren Beiträgen zum Wettbewerb vor. Mehr aus ihrer Feder, mehr Geschenke – mehr Gedichte und vor allem ihr „feuerumsonnter“ – man verzeihe mir an der Stelle die Anleihe aus einem der großartigsten Gedichte Paul Celans – Live-Auftritt, den ihre Einsendungen versprechen, werden im Frühjahr zu erleben sein. Wir danken auf diesem Wege den zahlreichen TeilnehmerInnen, deren eingereichten Beiträge durch ihr hohes Niveau an Können und Intensität, die Auswahl alles andere als leicht gemacht haben.
„Als ich (...) Rumänien verließ, um ins Ausland zu gehen, ohne Pass und allein meinem Stern vertrauend, wusste ich, dass es geraumer Zeit bedürfen würde, bis ich aufgehört hätte, das zu sein, was ich immer noch bin und vielleicht bleiben muss: ein Wandernder im Dunkel. Eines hatte ich mir jedoch unberührt von all den Windstößen erhofft: meine Gedichte.“ Seine Hoffnung hat sich mehr als erfüllt und seine Gedichte sind uns allen, die seinem Leben und Werk heute gedenken, ein Lebensquell geworden. Hier kommen Gedichte als Geburtstagsgeschenk zu den 100 Jahren, heute, am 23.11., und sie sind ebenfalls makellos unberührt, berührend.
Ondine Dietz
Als Paul Celan 1970 sein Leben in der Seine beendete, erfuhr ich zunächst gar nichts davon. Es gab ja kein Internet und bei uns auch keinen Fernseher. Ich war zu der Zeit elf Jahre alt und wollte Lyriker oder Fußballer werden. Letzteres schafft ich immerhin in die D1 des KSC, wo seinerzeit die heutige Legende Michael Harforth den Mittelstürmer gab. Ich war natürlich zusätzlich auch in Mühlburg täglich am Trainieren auf der damals riesigen Fußballwiese und las abends die halbe und später die ganze Stadtteilbücherei sukzessive leer. Von Karl May bis zu den vielen Kriegen, Europacup-Bände, Krimis, Prosa, Philosophen. Alles dabei.
Bald schon zog mich Lyrik in ihren Bann. Paul Celan war mein großes Vorbild. Ich mochte ihn noch lieber als Else Lasker-Schüler, Benn, Georg Trakl oder Rilke. Seine sprachliche Tiefe und unvergleichliche poetische Strahlkraft zogen mich in ihren Bann. Ich wollte auch so schreiben können wie er und probierte es jahrelang. Vor kurzem war ich bei einem Shooting für die Fotoserie „Kulturgesichter“ und sollte angeben, wie lange ich schon im Kulturbereich arbeite: Meine erste Publikation war ein Gedicht in der Karlsruher Literaturzeitschrift „Rind und Schlegel“ 1975 (so konnte man sich damals noch nennen). Ich wollte dann ja auch der Lyrik und Literatur wegen nach Tübingen. Es wurde doch München und zunächst Musikjournalismus, statt Dichter und Lyriker oder Fußballprofi.
Klar also, dass ich dem großen deutschsprachigen Poeten mit einer Gedenkveranstaltung zu seinem 100. Geburtstag die Ehre erweisen wollte. Mit der Künstlerin, Kuratorin und Autorin Ondine Dietz, die ja wie Paul Celan aus Rumänien stammt, fand sich eine begeisterte Mitstreiterin. Am Totensonntag, 22.11.2020, hätte ja unsere gemeinsame Paul-Celan-Lesung im Topsy stattfinden sollen zu seinem 100. Geburtstag am 23.11.2020. Die Veranstaltung mit Lesewettbewerb wird im Frühjahr 2021 nachgeholt. Das dazugehörige Online-Special mit Beiträgen der acht FinalistInnen steht zum 100. Geburtstag seit heute online. Eine Printversion folgt im Februar 2021 im INKA Stadtmagazin.
Roger Waltz
Lea Ammertal – „Vogelfrei“
Brauner
sehniger
Barfuß
Fuß
Hoher Spann
Schuhe zu eng
alle zu eng
Zäune
Gefängnisse
Folter
instrumente
Nagellack
abgeblättert
Dreckspuren
Bastarde
Straßenköter
zu fünft
an jedem Fuß
Über
lebens
tauglich
Per Anhalter
tief im Moos
das Warten auf
einen Zugvogel
schwarm
Un
beschuht
nackt
vogel
frei
Zur Person
In der Krone des kahlen Kirschbaums hockend
das Schmetterlingsnetz in klammen Händen
darin der goldne Schlüssel beredten Schweigens.
Robert Freitag – „Visavis“
Im Abend angekommen, weiß ich, sitzend auf dem Balkon,
mich kaum zu wehren gegen die Melancholie der blauen Stunde.
Zwei Krähen rasten, der Himmelsfärbung ungeachtet,
auf der Antenne vis-a-vis. – Ich liebe und bewundere ihre Ruhe
und wünschte sie für mich. – Ich bin versunken – wer weiß,
worin? – bis jäh ein weltliches Geräusch mich aufschreckt
und heraufholt an die Oberfläche... Der Kühlschrank hinter mir
ist angesprungen: das tumbe Tier „Elektrik“, es will
gefüttert werden; es giert nach meinen Nerven. – Es giert,
bis es verstummt, doch innerlich bereit zum nächsten Angriff.
Ich werde mich verkriechen. Ich gehe nur ein Zimmer weiter,
zu neuen Ufern, wo mein Bett steht. Erneut gelandet in der Fremde.
Zur Person
Ich bitte Euch: Tragt Euren Kindern Gedichte vor! Bei mir fing es mit „Max und Moritz“ an, aber damit war es nicht zu Ende. Selbst von Wilhelm Busch führt ein begehbarer Weg zu Paul Celan. Meinen Eltern bin ich ewig dankbar dafür. Wenn Ihr Lust habt: Folgt mir auf Twitter.
Marta Klagsbrunn – „Eine Exilstation in der Berliner U-Bahn, 1976“
Dora öffnete ihre Augen
und das Licht
unerträglich wie Klarsicht
zerbarstet
die fragilen Illusionen, die sie beschützten
erstickte das Lachen,
ließ sie nackt.
Schön, in aller Helligkeit des Körpers
einer jungen Frau
in Partikeln die Erinnerung an Unfug
in den Hinterhöfen eines Kindes aus Minas Gerais
Haut, Muskeln, von Küssen tätowierte Nerven, Liebe
Orgasmen einer schönen jungen Frau
Handgelenke, Kiefer, Hände, vom Mut gedrechselte Beine
und intensive dunkle Augen
Hässlich, unterdrückt, verachtenswert in den Blutflecken
Schmerz, Urin und Kot am Körper
in der Gefängniszelle zusammengekauert
schmutziger Zementboden und klebrige Gitter
Alles befleckt, jetzt und für immer
ihre Arme, ihr Rücken, ihre Brüste
verzweifeltes Haar, trockene Augen
Es war eine unendliche Sekunde.
Unermessliche Balance am Rande der Minute
die Unmöglichkeit des Bleiben/Weitermachen/Sein
die Unvereinbarkeit des Mädchens, der jungen Frau, der Ärztin
auch die Kriegerin, Überlebende, Verfluchte
durch die vier Wände von Tagen/Jahren, die nicht vergehen
Ertragen müssen
Die Scheinwerfer stützen, beleuchten die sorgfältig versteckte Verzweiflung
in der Pflicht zu leben, durch Lebenslust
das Lachen hörte sich fern, nicht überzeugend.
Zurück bleiben, bitte!
Die U-Bahn-Ansage, informiert, herrisch, über die Ankunft des Zuges
Bald wird dieser tapfer pulsierende Körper
geteilt
in Stücken verbannt
auf den Schienen zerschlagen
im Exil begraben
Die U-Bahn startet schnell, pünktlich
in Richtung einer unbekannten Station.
Bei uns, die Verbliebenen, bleibt
das erschreckende Verständnis der Schwierigkeit übrig
von dem, was man nicht vergessen kann.
Zur Person
Marta Klagsbrunn, eine kreative Frau mit strahlendem Lächeln und fröhlichen Wesen, hat sich ihr Leben lang mit Sprache und Kommunikation befasst. Als Studentin, im ihrem Heimatland Brasilien, spielte sie Theater und engagierte sich in der politischen Bewegung gegen die Militärdiktatur. Wurde deswegen festgenommen und ohne Gerichtsverfahren eineinhalb Jahre lang inhaftiert. Dann begann das Leben im Exil: Chile, Argentinien, Italien, West-Berlin. Erst 15 Jahre später konnte sie nach Brasilien zurückkehren, wo sie dann als Dozentin und im kulturellen Bereich arbeitete.
Irmentraud Kiefer
Eine rote Rose
steckte dir hinterm Ohr
Mit einer rostigen Klammer
an Haarsträhnen befestigt.
Wildwachsende Kinder
sind wir gewesen,
durchstreiften leere Häuser...
Katzenlichter des Nachts.
Welche Sonne aufging
am Morgen unserer Geburt,
wir wissen es nicht,
und welcher Stern am Himmel erblühte,
als wir uns auf den Weg machten
in diese Welt,
auch das ist uns unbekannt.
Als ich das Land verließ
beschwor ich dich „komm mit“.
Doch zum vereinbarten Ort
bist du nicht gekommen.
Heute, so sagte man mir,
verkaufst du Fische im Bazar.
Und in Schiraz
blühen noch immer die Rosen.
Zur Person
Irmentraud Kiefer lebt in Pforzheim, schreibt Gedichte, Erzählungen und Romane, zuletzt im Zeitschnur Verlag „Die Amme der Königin“. Sie verfasst Biografien zu Frauen der jüngeren Vergangenheit und stellt sie in Vorträgen dem Publikum vor. Zuletzt hat sie die Töchter des vielbegabten Karlsruhers Gustav Landauer zu Wort kommen lassen: Charlotte, Gudula und Brigitte Landauer. Bis 1933 war Kiefers Großvater in Pforzheim Leiter der Hirsch-Dunker-Gewerkschaft. Aufgrund seines tragischen Schicksals unter den Nationalsozialisten liegen ihr Menschen, die politisch bedroht, verfolgt oder auf der Flucht sind besonders nah und sie macht deren Schicksal in ihren Texten deutlich.
Jutta von Ochsenstein – „Fluchtruf“
in den Farben fruchtbarer Erde
wiegt das Furchtbare schwerer
die Worte schwer wie Asche-
Wagons aus Steinbrüchen wie Tränen
über Schuhe und Haare
die überleben schichten Sichtweisen
nehmen die Frucht aus der Erde
die Furcht aus der Asche
und rufen
Zur Person
Jutta v. Ochsenstein, geboren in Nordhessen, studierte in Marburg und Tübingen Germanistik und Romanistik wegen der Poesie, in den 80er Jahren aktiv in der politischen Friedensarbeit und dann zwei wunderbare Kinder geboren, in der Folge mehrere pädagogische Ausbildungen, jetzt tätig als Natur-Pädagogin, Achtsamkeits-Lehrerin und Autorin in Süddeutschland. Kinder, Natur und Lyrik sind dicht ineinander verwoben. Neben pädagogischen Fachbeiträgen Veröffentlichung von Lyrik in Anthologien, Literatur-Zeitschriften und auf Lesungen, zudem eine Übersetzung von Lyrik G. Trakls ins Französische (Verlag Voix d’encre, 2018 + 2020), alles zu finden unter juttav-ochsenstein.jimdo.com.
Sofie Morin – „Abrieb“
bedenkenlos durch die Stunden ge
watet
Mohn und Gedächtnis gerade noch
nun ein verschobener Tag
darin diese Wortfelder bestellt
die Saat ausgebracht
ohne Rindviecher hilfsbereit
allein dieser Hund traut zur Seite
was trottet er nicht
Buchstabe für Buchstabe
je wieder über die Ackerfurchen ge
setzt als wäre da nichts als ein Zeilensprung
dabei widerständig die Erdbrocken
ragen aus dem Boden starr wie Satzzeichen
fest getrocknet sind sie
fast ein Stein
bruch
wir täten gut daran
darüber hinauszuwollen
doch die Begehrlichkeiten zu konkav
als dass ein Lichteinfall von schräg unten
ihre Versteinerungen hätte
zu unseren Gunsten lösen können
die Erde riecht wählerisch von all den Er
regungen über die falschen Konjuktionen durchpflügt
das ewige Zeitverrinnen wegbereitend
was gesagt werden kann
der Abrieb im Gewinde unentwegt
und das Feld längst nicht abgegrenzt
von denen allen
denen aller anderen
jede Geode die sich finden lässt
von zweifelhafter Zugehörigkeit das Versprechen
Konkretionen der Gegenwart ins Fell gebrannt
wie sie nächtlich in Kristallen schon gestürmt
nichts wiederholt sich von selbst
Zur Person
Sofie Steinfest, 1972 in Wien geboren, ist nach einigen Wanderjahren über Brüssel in Heidelberg gelandet, hat Sprachen wie Labor-Kittel angezogen – wovon sie manchmal noch nicht lassen kann – und im verlöschenden Jahrtausend zwei Studien abgeschlossen, die nach Auffassung vernünftig denkender Menschen nicht zusammenpassen. Sie hat ungebührliche viele Kinder bekommen, und vermutlich auch deshalb in Karlsruhe eine psychotherapeutische Ausbildung absolviert. Sie war schon für etliche Literaturpreise nominiert und hat nie einen gewonnen, insbesondere nicht den der Heidelberger AutorInnen 2020. Bei allem publiziert sie unverdrossen in Literaturzeitschriften und bringt ihre Texte – meist nur, wenn dazu aufgefordert – zu Gehör. In der Lyrik findet sie Zuflucht, wenn die Prosa noch gärt.
Literarische Veröffentlichungen 2019/20 in: Die Rampe (Linz), Mosaik - FreiVers (Salzburg), Landstrich (OÖ), Schreibkraft (Graz), neolith (Wuppertal), Forum Land-Anthologie (NÖ), Zeilen.Lauf-Anthologie (Baden), Corona-Tagebuch Literaturherbst Heidelberg, MUC-Anthologie (München), Fluch't'raum (Wien), DUM (NÖ) (3 Ausgaben), &radieschen (Wien), Literarischer Salon Kurpfalzmuseum (Heidelberg), Scivias-Anthologie (Herder-Verlag), Pappelblatt (Wien), Die Stille (Braunschweig), Syltse (Wien), Phantastische Bibliothek Wetzlar (2 Anthologien), Literaturherbst Heidelberg, Lit:us, Theater Heidelberg & Rhein-Neckar-TV: Coronline Show II: (ab Minute 12), etcetera (St.Pölten), Litopian Anthologie, International Online Exhibition UNESCO Cities of Literature, Poesie unterwegs 2019&20 (Heidelberg), UND (Innsbruck), Ulrich-Grasnick-Anthologie, perspektive (Graz/Berlin/Wien), Lyrische Hefte (Salzburg), klischée (Heidelberg), Hörspielplatz (Bermudafunk, Karlsruhe), Bermudafunk Lesung Kurzgeschichte “Fremdkörper”: (ab Minute 44), Poesie Album neu (Leipzig), Das fröhliche Wohnzimmer (Wien), MixTape (Moloko-Print), Anthologie Lyrik der Gegenwart (Edition Art Science), INKA Stadtmagazin (Karlsruhe)
Waldbuchler – „osthin“
es schwirren die worte, die meisen aus dem nichts der allgegenwärtigkeit
dein silbern haar, angelique
angel, gelan, golon, galan, gelan, celan, ančel, čelan
es schwirren die staben, die meisen aus dem nichts der allgegenwärtigkeit
dein haar so weich, solange
greife, ergreife es, selon l’amour
çela, çel‘ un, čelan
dies, dieses, die mandel zählend, erst eintretend in den namen, der sein ist
die karte ein ruf aus torf gegraben, stimmlos
osthin, wo luftig gräber der ahnen wehn
seewärts, wo dauernd schenken
es schwirren die worte, die meisen aus dem nichts der allgegenwärtigkeit
monsieur selon, ein meister des deutschen! folgen sie dem salon, haha, ein cello, für den tschaikowski, sie kennen den caikowski, haha, dolles dor, der caikowski, monsieur selon
es schwirren die worte, die ameisen aus dem nichts der allgegenwärtigkeit
belgoebsgleich poesiert das gebitterte glück, der entsegnete ančel sein singsang der mühlen des todes dem richter, artefiziell untermalt vom lachen der 47. čelan in der schlangengrube, so schwärende legende. satisfaction!
ach inge, dein neuer mantel, steht ihr so gut
Zur Person
den waldbuchler treibts in den wald
nach buchenwald nach buchenwald,
wo‘s aus der zeit nach buchenwald
noch immer durch die wälder hallt:
macht halt,
sonst knallt
es aus versteckten minen,
die in der bienen
wald gekrallt.
da es knallt
durchwallt den wald
in kreisrunden dünen
das erbe der zeit von buchenwald.
und immer die frage, wessen bein es erwischt hat,
wenn es noch nach buchenwald
aus dem wald
geschallt
hat.
Woo Jin Lee – „Iphigenie auf Urlaub“
Angekommen auf meine fremde Heimatinsel,
Hier bin ich frei und hier bin ich.
Es sind zuckersüße Tage für die Seele,
Opfergefühl zu genießen, über das Schicksal zu klagen,
das Schicksal, gefesselt zu sein, ungerecht gefangen gehalten zu werden.
Fresse hoffnungslose Orangen und trage Kleid aus Gottes Gnade.
Siebenundzwanzig Jahre KIT-Studium haben gereicht,
um festzustellen, dass ich Schriftstellerin werden will.
Ich werde Theologie studieren und Priesterin werden; danach werde ich berühmt.
Jesus liebt mich, denn ich bin rein wie frisch gepresster Wein.
Mein Bruder kommt nicht mehr,
Mein Onkel gestorben, gefallen im Krieg.
Mein Vater ist so gemein gewesen, deswegen bin ich hier.
Denn was kann Tantal dafür, dass ich Menschen bemitleide?
Auf dieser Insel spricht niemand meine göttliche Sprache,
Die Fremden sind unbedarft und brauchen Aufklärung für ihre poesielosen Seelen.
ich komme um zu helfen; Apollons Flügel sind geboren, um mich zu geleiten.
Vierzehn Tage und vierzehn Nächte muss ich jetzt auf der Insel verbringen,
um die Fremden vor dem Fluch zu bewahren, der mich auch traf.
Dem Fluch meines Urgroßvaters, dass jeder einen seiner Nahstehenden töten werde.
Ich betete täglich zu Gott, dass der Wein uns nicht ausgehen möge.
So kann ich der glorreichen Athena treu bleiben, trotz der schweren Schicksalsschläge.
Die Fremden dieser Insel sind rohe Menschen, sind Barbaren;
Sie könnten mir im Schlaf den Wein stehlen.
So bin ich eingeschlafen, während des Gebets.
Ich hörte einen Engel zu mir sprechen;
Dein Wille geschehe.
Ich erwiderte;
Dein Griechisch ist genial.
Hast Du schon in der Schule Griechisch gehabt?
Hier bin ich auf der fremden Heimatinsel,
Hier bin ich freien Geistes und dennoch gefesselt an mein Schicksal.
So bete ich wieder zu meinen Göttern;
Ich bin ein Star, holt mich hier raus.
Zur Person
„Nur wer seine emotionalen Grundbedürfnisse d.h. Zugehörigkeits- und Zuneigungsbedürfnisse bewusst außerhalb seiner künstlerischen Arbeit zu kompensieren versucht, kann sich wirklich der selbigen widmen.“ So lautet der Grundsatz der südkoreanischen Künstlerin Woo Jin Lee, die in Karlsruhe freie Kunst (Malerei/Grafik) studiert hat und jetzt in Jockgrim lebt und arbeitet. Sie steht in ihrer Arbeit kritisch zu vielem gegenüber und expandiert einen banalen Gedanken auf viele verschiedene Formate, bohrt solange herum, bis sie zufrieden ist.
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